UX/UI ist tot – warum das endlich Klarheit schafft

UX/UI ist tot – warum das endlich Klarheit schafft
Ein persönlicher Blick auf die Rollenverwirrung in der digitalen Produktentwicklung
Als ich 2016 das erste Mal auf meinem Blog über den Unterschied zwischen UX und UI geschrieben habe (👉 hier geht’s zum Artikel), war mir schon klar: Die Begriffe werden oft wild durcheinandergeworfen – und das hat sich bis heute kaum geändert.
In meinen ersten Jobs war „UX“ noch kein gängiger Begriff. 2004 begann ich meine Ausbildung zur Mediengestalterin. Wir nannten uns Webdesigner:innen – verantwortlich für Konzept, Gestaltung und Umsetzung. Der Begriff „UX/UI Designer:in“ kam erst später auf. Und ja, ich war lange selbst die berüchtigte eierlegende Wollmilchsau. Das hat auch funktioniert – denn Websites waren in der Regel überschaubar, mit klaren Zielgruppen und wenigen Interaktionsmustern.
Frühe Projekte – ohne Designsysteme, ohne Figma, mit viel Verantwortung
Kurz vor dem iPad-Launch 2010 durfte ich eine digitale Patientenakte gestalten – für ein medizinisches Unternehmen, das sehr früh auf mobile Anwendungen setzte. Es gab kaum Vorgaben, keine Designsysteme, kaum Frameworks – ein echtes Abenteuer. Figma? Noch lange nicht auf dem Markt. Alles wurde händisch gelöst, Entscheidungen basierten auf Intuition, Gesprächen mit Ärzt:innen – und eine große Portion Mut zum Neuland.
Wenig später, 2011, begann ich als UX/UI Designerin bei rent-n-roll, Deutschlands erstem privaten Carsharing-Angebot. Ich war die Allrounderin: vom Flyer bis zum Interface, von der Werbekampagne bis zur Informationsarchitektur – alles kam aus einer Hand, wo Hilfe benötigt wurde. Der Begriff UX/UI war zwar neu, aber ich lebte ihn – und lernte, was es heißt, digitale Produkte ganzheitlich zu denken.
Auch in vielen späteren Projekten als Freelancerin durfte ich nicht nur gestalten, sondern an Businessmodellen mitarbeiten, strategisch denken und Teams beraten. Design war nie nur Design. Und genau deshalb brauchen wir heute Klarheit.
Die Welt hat sich verändert
Heute sprechen wir von komplexen Plattformen, fragmentierten Nutzergruppen, responsiven Systemen, Accessibility-Standards, Design Tokens, Cross-Channel-Erlebnissen, Prototyping, Nutzerforschung, Ethik im Design, KI-generierten Interfaces… die Liste ist endlos.
UX ist kein Jobtitel – es ist ein Feld. Ein Kosmos. Ein multidisziplinärer Bereich mit unzähligen Spezialisierungen.
„UX ist nicht gleich UI. Und UX/UI ist keine Lösung – sondern eine Überforderung."
Begriffe, die oft vermischt werden:
- User Experience
- Customer Experience
- Product Management
- UX Strategy
- UX Writing
- UX Research
- Information Architecture
- Interaction Design
- UI Design
- UI Development
- Testing & Evaluation
- Accessibility
- Service Design
Und genau deshalb ist der Begriff „UX/UI Designer:in“ problematisch. Er suggeriert, man könne alles abdecken – von Research über Konzept bis zu finalem Interface. Die Realität? Wer das versucht, brennt aus. Oder liefert mittelmäßige Ergebnisse auf allen Ebenen.
Mein Fokus
Ich selbst bin mit voller Leidenschaft UX Designerin und Strategin. Mein Schwerpunkt liegt auf Nutzerbedürfnissen, Interaktionskonzepten, Informationsarchitektur und strategischem Denken.
Ich kann visuell gestalten, ja. Aber ich spüre den Unterschied: UX ist Denken in Systemen, in Szenarien, in Nutzerbedürfnissen und Businesszielen. UI ist visuelles Handwerk, Stil, Look & Feel. Beides ist wichtig – aber selten in einer Person gleich stark vertreten.
Genauso wie es auch einen klaren Gap zum Service Design gibt, wo Co-Creation, Journey Mapping und Touchpoint-Analyse im Mittelpunkt stehen.
So gliedere ich die Rollen heute:
UI Design
→ Visuelle Gestaltung, Look & Feel, Designsysteme, Animationen, Komponenten
UX Design
→ Struktur, Nutzerführung, Konzept, Nutzerzentrierung, Usability
Service Design
→ Ganzheitliche Betrachtung von Services über alle Touchpoints hinweg, Workshops, Journey Mapping, Co-Creation
UX Strategie
→ Langfristige Ausrichtung der UX-Aktivitäten im Einklang mit Geschäfts- und Nutzerzielen, Aufbau von UX-Reife
Product Design
→ Verbindet UX, UI und Businessziele – arbeitet oft end-to-end in crossfunktionalen Teams mit starkem Fokus auf Produktentwicklung
Aber frag weitere UX-Kolleg:innen – und du bekommst viele unterschiedliche Definitionen. Und das ist okay. Unser Feld ist jung, dynamisch, ständig im Wandel. Aber gerade deshalb braucht es mehr Klarheit in Jobtiteln, Rollenbeschreibungen und Erwartungshaltungen.
ISO 9241-210: Warum gute UX Teamarbeit ist
Ein wichtiger Grundsatz, der das unterstreicht, ist die ISO 9241-210 – ein internationaler Standard für menschenzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme. Er beschreibt klar, was nutzerzentrierte Gestaltung ausmacht – und warum sie interdisziplinäre Zusammenarbeit braucht.
Er definiert:
- Was Usability bedeutet
- Wie ein nutzerzentrierter Designprozess abläuft
- Warum Generalist:innen an Grenzen stoßen
- Und dass gute UX immer ein Team effort ist
Kurz gesagt: Die ISO 9241-210 bestätigt, was viele von uns täglich erleben: Gute UX ist Teamarbeit.
Sie braucht Spezialist:innen, keine Generalist:innen mit Burnout-Risiko.
Warum ich diesen Artikel schreibe
Weil ich auf LinkedIn in letzter Zeit immer öfter Posts sehe mit Aussagen wie: „UX/UI ist tot.“
Und darunter? Große Zustimmung.
Ich teile diese Meinung – nicht aus Trotz, sondern aus Verantwortung. Für unseren Berufsstand.
Für die nächste Generation. Für bessere digitale Produkte.
UX verdient Respekt – als eigenständige Disziplin. UI auch. Und es wird Zeit, dass das auch in Stellenausschreibungen, Teamstrukturen und Gehaltsbändern sichtbar wird.
Fazit: Lasst uns mit der Verwirrung aufräumen
UX/UI ist tot. Lang lebe die Spezialisierung.
👉 Und du? Wie siehst du das?
UX, UI, Service Design, Strategy, Product Design – wo liegt dein Fokus?
Was hat sich für dich verändert in den letzten Jahren?
Ich freue mich auf den Austausch auf LinkedIn – und konstruktive Diskussion!