UX braucht Einfluss!

‍Macht. Wirkung. Wirksamkeit. Und was das mit UX zu tun hat

Mein Impuls vom UX-Leadership Barcamp 2025


„Macht“ – kaum ein Begriff, der im UX-Kontext so selten ausgesprochen und gleichzeitig so präsent ist.

In der Barcamp-Session von Katja Busch ging es genau darum: Was macht Macht mit uns? Und was macht sie möglich? Schon die erste Frage an uns Teilnehmende ließ etwas in mir anstoßen: Was fühlst du, wenn du das Wort „Macht“ hörst?

Die Antworten: Wut. Missbrauch. Einfluss. Entscheidungsfreiheit. Wirkung.
Ein ganzes Spannungsfeld.

Und ich merkte: Auch in mir löst dieses Wort Reibung aus. Vielleicht, weil ich oft genug in Strukturen gearbeitet habe, in denen Macht unausgesprochen, aber wirkmächtig war. Vielleicht, weil ich neurodivers bin. Vielleicht, weil ich – wie viele in der UX – an die Kraft interdisziplinärer Zusammenarbeit glaube, an Augenhöhe und egofreie Teams.
Vielleicht aber auch, weil ich eine Frau bin – und in vielen IT-Projekten noch immer die einzige im Raum.

Diese Erfahrung hinterlässt Spuren. Sie verändert den Blick auf Macht: Wer sie selten hatte, wird sensibel für ihre Mechanismen. Für das, was gesagt – und was nicht gesagt – wird. Für die unausgesprochenen Spielregeln in Meetings. Für die Stimmen, die Gehör finden, und für die, die übergangen werden.

Ich denke auch an meine Startup-Zeit zurück, in der grundsätzlich immer nur mein Mitgründer als CEO angesprochen wurde. Solche Momente brennen sich ein.

Und genau deshalb stellt sich die Frage: Was, wenn wir als UX Professionals oft gar nicht die nötige formelle Macht haben, um Wirkung zu entfalten? Was bringt das beste Produkt, wenn es niemand sieht – oder wenn unsere Perspektive bei Entscheidungen schlicht nicht mitgedacht wird?


Macht ist kein Schimpfwort – oder doch?

Katja Busch stellte eine unbequeme Wahrheit in den Raum: Ohne Macht keine Wirkung.
Ein Satz, der hängen bleibt. Der provoziert. Und der zum Nachdenken anregt – gerade in einem Feld wie UX, das so oft von Haltung, Empathie und Zusammenarbeit geprägt ist.

Denn ja, Macht hat ein Imageproblem. Auch bei uns in der Session war das spürbar: Die ersten Assoziationen mit dem Begriff waren fast ausschließlich negativ – Missbrauch, Kontrolle, Ego.

Aber ist Macht wirklich das Problem? Oder ist es der Umgang damit? Katja zeigte: Macht ist nicht nur Herrschaft – sie ist auch Gestaltungsspielraum. Sie kann missbraucht werden – oder zum Guten genutzt. Sie kann ausgrenzen – oder befähigen.

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Und sie kommt in unterschiedlichen Formen:

  • Formelle Macht, die durch Rollen, Positionen oder Titel verliehen wird.
  • Informelle Macht, die durch Erfahrung, Wissen, Beziehungen oder Ausstrahlung entsteht.

Gerade in UX bewegen wir uns oft im Spannungsfeld dazwischen: Wir verfügen über Methodenkompetenz, Nutzerverständnis und Kontextwissen – aber nicht immer über den formellen Status, der notwendig wäre, um unsere Perspektive durchzusetzen.

Diese Ambivalenz ist herausfordernd. Und gleichzeitig eine Einladung: Macht nicht nur kritisch zu betrachten – sondern sie zu verstehen. Und mitzugestalten.


UX zwischen Expertentum und Ohnmacht

Als UXler:innen bewegen wir uns oft in einem paradoxen Spannungsfeld: Wir verfügen über Expert:innenwissen – Methoden, Daten, Empathie. Wir verstehen Bedürfnisse, kontextualisieren Anforderungen, bringen Nutzerperspektiven ins Spiel. Das ist eine Form von Macht. Eine, die wir uns erarbeiten.

Und doch erleben viele von uns regelmäßig, wie schwer es ist, mit diesem Wissen auch wirklich wirksam zu sein.

In der Session kam genau diese Erfahrung auf: UX wird gehört – aber nicht immer ernst genommen. Unsere Vorschläge finden Zustimmung – aber keine Umsetzung. Und viel zu oft sitzen wir nicht mit am Tisch, wenn die eigentlichen Entscheidungen fallen.

Ich musste bei diesem Gespräch an eine Agentur denken, in der ich einmal gearbeitet habe. Sie war angeblich „hierarchiefrei“ – und doch habe ich dort die wohl schärfsten Machtstrukturen erlebt. Nur eben verdeckt. Informell. Und oft unbesprechbar.

In solchen Momenten wird einem bewusst, wie viel Macht nicht mit Titeln, sondern mit Haltung, Sprache, Beziehungen und Selbstverständnis zu tun hat. Und wie verletzlich man sich fühlt, wenn man mit offenen Ideen und viel Verantwortung in ein System kommt, das eigentlich ganz andere Regeln spielt.

Auch im Austausch mit einer Research-Kollegin wurde mir nochmal deutlich:
Ja, wir haben Expertenmacht – und ja, wir sind trotzdem oft unsichtbar.
Und ohne formelle Macht wird es schwer, gehört zu werden.

Aber ist die Lösung deshalb, dass alle UXler:innen sich in die nächste Führungsposition manövrieren sollen? Müssen wir uns Titel holen, um ernst genommen zu werden?

Oder gibt es auch andere Wege?


Macht teilen – statt nur streben

Ich glaube nicht, dass jede:r UXler:in zwingend nach Macht streben muss, um Wirkung zu erzielen. Und ich glaube auch nicht, dass alle an den berühmten „Entscheider:innen-Tisch“ gehören müssen, um gehört zu werden.

Denn Macht ist kein Nullsummenspiel. Und nicht jede*r fühlt sich wohl in klassischen Hierarchien. Manche wollen gestalten – ohne sich in politische Spiele zu verstricken. Manche brauchen Sichtbarkeit – andere wirken leise im Hintergrund.

Das Gespräch in der Session hat mir deutlich gemacht: Wir müssen über neue Formen von Wirksamkeit sprechen.

  • Wie können wir in Teams Einfluss nehmen, ohne formelle Macht?
  • Wie können wir Expertise sichtbar machen, ohne den Lautesten das Feld zu ĂĽberlassen?
  • Wie können wir gemeinsam Räume schaffen, in denen Wirkung auf Vertrauen basiert – nicht auf Titeln?

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Vielleicht geht es gar nicht darum, Macht „anzustreben“ – sondern darum, sie bewusst zu teilen.

Als UX Professionals haben wir ohnehin eine besondere Rolle: Wir sind Brückenbauer:innen zwischen Business, Tech und Mensch. Unsere Stärke liegt nicht im Machtwort – sondern im Verstehen. Im Übersetzen. Im Öffnen von Perspektiven.

Das ist eine Form von Macht, die nicht herrscht – sondern befähigt. Und genau das brauchen viele Organisationen heute dringender denn je.


Den Lösungsraum offen lassen

Ich will keine einfachen Antworten geben. Nicht, weil ich sie nicht hätte – sondern weil es sie vielleicht gar nicht gibt.

Macht ist komplex. Sie kann lähmen oder beflügeln. Sie kann sichtbar oder subtil sein. Und sie zeigt sich in jeder Organisation anders. Deshalb lohnt es sich, immer wieder neu hinzuschauen:

  • Wo habe ich Gestaltungsspielraum – und wo nicht?
  • Wo wĂĽnsche ich mir mehr Einfluss – und warum?
  • Welche Verantwortung bin ich bereit zu ĂĽbernehmen, wenn ich wirksam werde?


Vielleicht müssen wir die Machtfrage gar nicht immer beantworten. Vielleicht reicht es, sie uns bewusst zu stellen – und Räume zu schaffen, in denen verschiedene Formen von Wirksamkeit nebeneinander existieren dürfen. Nicht jede:r muss führen. Aber jede:r sollte wirken dürfen. Gerade in UX. Gerade jetzt.

Franzi Detail

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